Leitwörter und Schlüsselbegriffe (Teil 2)

Natürlich könnte man noch viel mehr zu den Leitwörtern im Schöpfungsbericht sagen, aber ich hoffe, dass du bereits erkennen kannst, dass es sich lohnt, auf diese Begriffe zu achten und über ihre Bedeutung nachzudenken. Falls du noch nicht überzeugt bist, hier ein weiteres Beispiel, nur einige Kapitel weiter in 1. Mose, anhand dessen deutlich wird, welche Rolle Wiederholung mit Variation in biblischen Texten spielt:

  1. Mose 5 enthält einen Stammbaum. Solche Kapitel oder Abschnitte werden beim Bibellesen gerne mal übersprungen. Es passiert ja nichts. Stattdessen eine Ansammlung von oft schwierig auszusprechenden Namen. Dabei sind Stammbäume durchaus interessant (wirklich!) und ein wichtiger Teil der Bibel. Wir müssen uns nur daran erinnern, dass die Erlösung der Menschheit durch den Samen kommen wird (1. Mose 3,15). Das bedeutet, dass die Stammbäume enorm wichtig sind. Sie zeigen nämlich, dass die Linie weitergeführt wird – und dadurch die Hoffnung wach gehalten wird, dass der verheißene Erlöser tatsächlich kommt. In diesem Zusammenhang ist es interessant wie Noah am Ende des Kapitels eingeführt wird. Die Menschen leiden unter dem Fluch von 1. Mose 3 (beachte die Wortwahl in 1. Mose 5,29), doch mit Noah wird die Hoffnung verbunden, dass er Trost bringen wird. Und tatsächlich bringt Noah im Laufe der weiteren Geschichte nicht nur Trost, sondern fungiert auch als Retter, nämlich für diejenigen, die zu ihm gehören und mit ihm in die Arche gehen. Also für alle, die dem Wort Gottes vertrauen und die angebotene Rettung vor dem göttlichen Gericht in Anspruch nehmen.

Bereits beim ersten Lesen von 1. Mose 5 wird deutlich, dass dieses Kapitel zum Großteil aus Wörter und Formulierungen besteht, die wiederholt werden und dem Text so einen ganz bestimmten Rhythmus geben. Als Beispiel möchte ich hier nur auf die Formulierung „und er starb“ eingehen, die acht Mal in diesem Kapitel wiederholt wird und im hebräischen Text aus einem einzigen Wort besteht. Die Frage ist: Warum wird dieses Wort im gesamten Kapitel immer wieder wiederholt? Vielleicht sagst du jetzt: „Naja, das ist eben das, was passiert ist: sie sind alle gestorben. Der Autor berichtet einfach, was passiert ist.“ Bis zu einem gewissen Grad ist das auch richtig. Es ist jedoch interessant, dass dieses Wort in anderen Stammbäumen nicht vorkommt. Schauen wir uns z.B. 1. Mose 11,10-26 an. Alle dort erwähnten Leute starben ebenfalls, doch der Autor teilt uns dies nie explizit mit. Warum also wiederholt er es dann so oft in 1. Mose 5?

Scheinbar möchte der Autor an dieser Stelle die Vergänglichkeit des Menschens ganz besonders betonen. Das wird auch dadurch deutlich, dass die Lebensdauer von Generation zu Generation immer weiter abnimmt (zu den Ausnahmen kommen wir gleich). Interessant ist auch, dass das Verb „sterben“ zuvor letztmalig in 1. Mose 3,4 erwähnt wurde, wo die Schlange auf die Aussage Gottes Bezug nimmt, dass der Mensch sterben wird, wenn er von dem Baum isst (siehe 2,17). Die ständige Wiederholung dieses Begriffs in 1. Mose 5 macht also unter anderem deutlich, dass Adam und seine Nachkommen aufgrund der Sünde tatsächlich sterben, genau wie Gott es vorhergesagt hatte. Obwohl die Begriffe „leben“ und „zeugen“ viel häufiger vorkommen als das Wort „sterben“ und trotz der sehr langen Lebensdauer aller dieser Menschen, steht am Ende immer der Tod. Alle sterben. Oder besser gesagt, fast alle.

Denn nachdem die Formulierung „dann starb er“ sechsmal wiederholt wurde, kommen wir zu den Versen 23 und 24 wo das Muster durchbrochen wird. Bisher wurde über alle Personen im Stammbaum gesagt:

x lebte y Jahre und zeugte z. Und x lebte, nachdem er z gezeugt hatte, v Jahre und zeugte Söhne und Töchter. Und alle Tage von x betrugen w Jahre, dann starb er.

Über Henoch hingegen heißt es:

x lebte x Jahre und zeugte z. Und x wandelte mit Gott, nachdem er z gezeugt hatte, v Jahre und zeugte Söhne und Töchter. Und alle Tage von x waren w. Und x wandelte mit Gott; und er war nicht mehr da, denn Gott nahm ihn hinweg.

Hier haben wir ein klassisches Beispiel einer Wiederholung mit Variation, durch die der Autor das Augenmerk des Lesers auf Henoch (die siebte Person im Stammbaum!) lenken möchte. Er wird bereits in Vers 19 hervorgehoben, denn bei seiner Geburt wird das Muster des stetig abnehmenden Alters der Väter durchbrochen – 130, 105, 90, 70, 65, 162! Seine besondere Stellung wird auch dadurch deutlich, dass diejenigen, die unmittelbar mit ihm verbunden sind, nämlich sein Vater Jered und sein Sohn Metuschelach, die mit Abstand längste Lebensdauer aller Personen im Stammbaum haben (962 und 969 Jahre). Henoch ist also stark mit Leben und Vitalität verbunden (sein Vater Jered zeugt mit 162, sein Sohn Metuschelach mit 187), hat aber ironischerweise selbst die kürzeste Lebensdauer aller Personen im Stammbaum. Allerdings lebt er eben nicht einfach nur, sondern wandelt mit Gott und wird daraufhin von Gott hinweggenommen. So wird das Muster des Todes durchbrochen. Der Autor wiederholt also die Formulierung „und er starb“ auch deshalb so oft, um den Einen hervorzuheben, der nicht stirbt (auch bei Noah fehlt die Formulierung, sie folgt jedoch in 9,29). Inmitten all der Todesfälle in diesem Stammbaum gibt es Hoffnung, dass der Tod nicht das letzte Wort haben wird und diese Hoffnung gründet sich auf die Erfahrung des Einen, der mit Gott wandelte und von ihm hinweggenommen wurde.

Übungen

Lies die folgenden Textabschnitte mehrmals durch und markiere die Leitwörter und –phrasen. Fallen dir irgendwelche Muster auf?

  1. Mose 12,10-20
  2. Samuel 18
  3. Markus 5,21-43