Ich habe es lange nicht gesehen. Es ist mir einfach nicht aufgefallen. Obwohl ich die Geschichte kannte und sie schon öfter gelesen hatte.

Es ist eine bekannte Geschichte. Die Geschichte von dem Vater, dessen Augen trübe geworden sind, so dass er nicht mehr sehen kann. Die Geschichte von der Mutter und dem Sohn, die nicht mehr warten können. Die Geschichte von dem Sohn, der zu spät kommt.

Dabei will der Vater genau ihn, den Älteren segnen. Doch die Mutter bekommt Wind davon und setzt alle Hebel in Bewegung, um den Plan ihres Mannes zu durchkreuzen. Kleider müssen her. Und eine Mahlzeit. Ein Leckerbissen, so wie der Vater es mag. Zwei Böcklein werden geschlachtet. Und dann ist alles bereit. Die Mahlzeit ist gekocht. Die Felle sind angelegt. Der jüngere Sohn trifft auf den Vater.

„So ging er zu seinem Vater hinein und sagte: Mein Vater! Und er sagte: Hier bin ich. Wer bist du, mein Sohn?“

Mein Vater, sagt Jakob. Wer die Geschichte bis zu diesem Zeitpunkt aufmerksam gelesen hat, der weiß, dass die Begriffe „Vater“, „Mutter“, „Sohn“ und „Bruder“ sehr oft wiederholt werden. „Unnötig“ oft.

Kein Zufall. Immer wieder wird so daran erinnert: Es sind keine Fremden, die sich betrügen. Es ist eine Familie. Isaak ist der Vater Jakobs. Esau ist sein Bruder. Jakob ist nicht nur der Sohn Rebekkas, sondern auch der Sohn Isaaks. Esau ist nicht nur der Sohn Isaaks, sondern auch der Sohn Rebekkas.

„Mein Vater,“ sagt der Betrüger. „Hier bin ich,“ sagt der Vater. „Wer bist du, mein Sohn?“ Wer bist du, Jakob? Wer bist du? Auch das ist eine Frage in dieser Geschichte.

Aber da ist noch mehr. Es ist mir lange nicht aufgefallen. Und dann plötzlich…

„Mein Vater!“ „Hier bin ich. Wer bist du, mein Sohn?“

„Mein Vater!“ „Hier bin ich, mein Sohn.“ „Siehe, das Feuer und das Holz! Wo aber ist das Schaf zum Brandopfer?“ „Gott wird sich das Schaf zum Brandopfer ersehen, mein Sohn.“ (1. Mo 22,7)

Es ist das einzige Mal, dass diese Formulierungen vorher in 1. Mose vorkommen. Auch hier kein Zufall. Genau in dem Moment, wo der Vater seinen eigenen Willen durchbringen will, kommt die Erinnerung an den eigenen Vater, der mit seinem Sohn den Berg hinaufgeht. Bereit, den Sohn zu opfern, im völligen Vertrauen auf Gott.

Genau in dem Moment, wo der Vater seinen eigenen Willen durchbringen will, kommt die Erinnerung an sich selbst. Der Sohn, der sich dem Vater anvertraut. Der sich nicht wehrt. Der nicht seinen Willen durchsetzen will.

Genau in dem Moment, wo der Sohn nicht mehr warten will, sich selbst helfen will, kommt die Erinnerung an den Vater, vor dem er steht, der sich bereitwillig auf den Altar legen lässt. Der bereit ist, völlig zu vertrauen.

Und ich frage mich: Was wäre gewesen, wenn Isaak sich in dem Moment an die Situation auf dem Berg erinnert hätte? Was wäre gewesen, wenn Jakob daran gedacht hätte?

Und dann frage ich mich: Was wäre, wenn ich daran denken würde?

Es ist so leicht, Isaak und Jakob zu verurteilen. Wie kann er nur den eigenen Vater betrügen? Wie kann er nur unbedingt Esau segnen wollen? Er weiß doch, wie Esau drauf ist! Wie können sie nur?

Aber wenn ich ehrlich bin, dann muss ich zugeben, dass ihre Geschichte meine Geschichte ist. Dass ich genauso versuche, mir selbst zu helfen. Dass ich mich selber schwertue, auf Gott zu warten. Ihm zu vertrauen. Völlig zu vertrauen.

Was wäre, wenn ich in solchen Situationen, an den Vater und den Sohn auf dem Berg denken würde? Die sich völlig in Gottes Hände legen. Die nicht versuchen, ihren eigenen Willen durchzusetzen. In einer Situation, in der es menschlich gesehen, so viel Sinn machen würde, ihn durchzusetzen.

Was wäre, wenn ich nicht nur an diesen Berg, sondern an einen anderen Berg denken würde? An den anderen Vater und seinen Sohn, die tatsächlich bis zum Äußersten gehen. Wo keine Stimme vom Himmel kommt, wo niemand „Stopp“ sagt. Wo all meine Schuld getragen wird. All meine Selbstsucht. All meine Ungeduld.

Es ist kein leichter Weg, dieser Weg des Vertrauens – die Geschichten zeigen es ja. Es ist kein leichter Weg und doch ist es der Weg, der uns letztlich echtes Glück und echten Frieden schenkt. Der Weg, der ans Ziel führt. Der Weg des Vaters mit seinem Kind.