Wenn Jesus heute vor dir stehen und dich fragen würde: Was willst du, dass ich für dich tun soll? – wie würdest du antworten?

Im Markusevangelium stellt Jesus zweimal diese Frage und beide Male befinden sich interessanterweise recht nah beieinander in Kapitel 10. In den Versen 32-34 hat Jesus den Jüngern gerade zum dritten Mal mitgeteilt, dass er nach Jerusalem geht, um zu sterben. Unmittelbar darauf kommen Jakobus und Johannes mit einer besonderen Bitte zu ihm:

Und es treten zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sagen zu ihm: Lehrer, wir wollen, dass du uns tust, um was wir dich bitten werden. Er aber sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich euch tun soll? Sie aber sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken sitzen in deiner Herrlichkeit. (Verse 35-37)

Wie wir wissen erfüllt Jesus ihnen ihre Bitte nicht, sondern lehrt sie den Wert echter Größe, die darin besteht, dass man anderen dient, genauso wie auch Jesus kam, um zu dienen und nicht um bedient zu werden – was er durch seinen eigenen Tod am Kreuz in höchstem Maße unter Beweis stellt (Verse 42-45).

Unmittelbar danach folgt in Markus 10 die Heilung des blinden Bartimäus. Hier kommt die eingangs erwähnte Frage ein zweites Mal vor. Als Bartimäus hört, dass Jesus bei ihm vorbeigehen wird, beginnt er zu rufen, dass Jesus sich seiner erbarmen soll.

Und Jesus blieb stehen und sagte: Ruft ihn! Und sie rufen den Blinden und sagen zu ihm: Sei guten Mutes! Steh auf, er ruft dich! Er aber warf sein Gewand ab, sprang auf und kam zu Jesus. Und Jesus begann und spricht zu ihm: Was willst du, dass ich dir tun soll? Der Blinde aber sprach zu ihm: Rabbuni, dass ich sehend werde. (Verse 49-51)

In diesem Fall erfüllt Jesus den Wunsch und Bartimäus wird sehend und folgt Jesus auf dem Weg nach.

Die Tatsache, dass dieselbe Frage innerhalb weniger Verse zweimal vorkommt, sollte uns als aufmerksame Leser dazu bringen, innezuhalten und über die Bedeutung dieser Wiederholung nachzudenken. Dass die beiden Geschichten direkt nebeneinander stehen, ist höchstwahrscheinlich kein Zufall, sondern deutet darauf hin, dass es eine Verbindung zwischen ihnen gibt. Was also will uns der Autor sagen?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir den größeren Zusammenhang des Markusevangeliums beachten. Wenn wir uns den Text genau anschauen, stellen wir fest, dass Markus mindestens drei sehr wichtige Fragen in seinem Evangelium stellt.

1. Wer ist Jesus?

Diese Frage ist in der ersten Hälfte des Evangeliums allgegenwärtig. Obwohl uns Markus bereits im ersten Vers seines Evangeliums mitteilt, wer Jesus ist, fragen sich Menschen in den folgenden Kapiteln immer wieder, wer dieser Mann ist (Markus 1,27; 2,7; 3,21-22; 4,41; 6,2-3). Ironischerweise sind die Einzigen, die genau wissen, wer Jesus ist, die Dämonen (Markus 1,24,34; 3,11; 5,7)!

In Markus 8 wird diese Frage endlich von einem Menschen richtig beantwortet. Petrus bekennt: Du bist der Christus! (8,29) Daraus ergibt sich sofort die zweite Frage, die im zweiten Teil des Evangeliums beantwortet wird:

2. Was bedeutet es, dass Jesus der Christus ist?

Wie relativ schnell deutlich wird, haben die Jünger ein ganz anderes Verständnis davon, was es für Jesus bedeutet, der Christus zu sein, als Jesus selbst das sieht. Sie glauben an einen politischen Christus, der ein irdisches Königreich aufrichten wird, in dem man die besten Positionen bekommt. Anderen zu dienen und dabei möglicherweise sogar zu leiden, kommt ihnen nicht in den Sinn.

Jesus, jedoch, versucht ihnen zu zeigen, dass er gerade in seinem Leiden und Sterben der Christus ist (beachte, dass unmittelbar nachdem Petrus erkannt hat, wer er wirklich ist, Jesus anfängt, über seinen Tod zu sprechen – Markus 8,31; 9,31; 10,33-34). Dieses Leiden und Sterben ist eine Folge seiner Bereitschaft, sich zu demütigen und anderen zu dienen.

Dieses Missverständnis seitens der Jünger erklärt auch die Bitte von Jakobus und Johannes in Markus 10. Sie haben nicht verstanden, was es für Jesus bedeutet, der Christus zu sein. Deswegen muss Jesus ihnen noch einmal erklären, was seine wahre Identität ausmacht (10,42-45). Beachte, wie Jesus seine eigene Identität eng mit der seiner Nachfolger verbindet. Der Grund dafür liegt in der dritten Frage, die im Markusevangelium behandelt wird:

3. Was bedeutet es, diesem Christus zu folgen?

Die Antwort Jesu auf diese Frage ist eindeutig: ihm nachzufolgen bedeutet, wie er zu sein und sich auch wie er zu demütigen und zu dienen, sogar bis zum Tod. Um das zu illustrieren benutzt Markus das Motiv des „Weges“. Dieses Bild wird besonders in Markus 10 relevant. Vier Mal wird der „Weg“ erwähnt (Verse 17, 32, 46, 52). Es ist der Weg hinauf nach Jerusalem. Natürlich ist es ein buchstäblicher Weg, aber es ist auch der Weg des Leidens, der Weg hin zu Jesu Tod. Auf genau diesem Weg stellen ihm Jakobus und Johannes ihre Frage. Sie befinden sich mit Jesus auf dem Weg, aber sie haben weder die tiefere Bedeutung dieses Weges verstanden noch was dieser Weg für Jesus bedeutet. Und an dieser Stelle kommt Bartimäus ins Bild. Er sitzt am „Weg“ (Vers 46). Wie Jakobus und Johannes bittet auch er Jesus um etwas: er möchte sehen können. Das ist interessant, denn Jesus hat das Motiv der „Blindheit“ und des „Sehens“ bereits zuvor in diesem Evangelium benutzt, um den Mangel an Verständnis aufseiten der Jünger zu illustrieren (Markus 8,18; siehe auch 4,12).

Wenn wir jetzt all diese Puzzleteile zusammensetzen, dann scheint Markus die Geschichten von Jakobus, Johannes und Bartimäus ganz bewusst einander gegenüber gestellt zu haben. Er wollte dadurch das mangelnde Verständnis der Jünger hervorheben, aber auch die Lösung dieses Problems präsentieren. Als Jesus Jakobus und Johannes fragt, was er für sie tun soll, bitten sie um Positionen in seinem irdischen Reich. Als Jesus Bartimäus dieselbe Frage stellt, bittet dieser darum, sehen zu können. Markus scheint also anzudeuten, dass die Antwort des Bartimäus genau die Antwort war, die die beiden Brüder hätten geben sollen. Ihre Augen müssen ihnen geöffnet werden, nicht buchstäblich, sondern bildlich und geistlich. Nur dann sind sie tatsächlich in der Lage, Jesus auf seinem Weg zu folgen, wie Bartimäus es in Vers 52 tut. Die buchstäbliche Heilung des Bartimäus wird somit zu Illustration und Beispiel für die geistliche Heilung, die die Jünger und all jene, die Jesus, dem Christus, auf seinem Weg nachfolgen wollen, unbedingt brauchen!

Wenn Jesus heute vor dir stehen und dich fragen würde: Was willst du, dass ich für dich tun soll? – wie würdest du antworten?