Im Gegensatz zu vielen modernen Autoren, gehen die biblischen Schreiber sehr sparsam mit Worten um. Die biblischen Geschichten, z. B., enthalten keine ausführlichen Berichte der Ereignisse, die sie beschreiben. Stattdessen hat der Autor sehr bewusst entschieden, was er erwähnt (und was er weglässt) und wie er die Geschichte erzählt. Viele Dinge, die uns brennend interessieren würden (wie Menschen oder Orte aussahen, was Leute gefühlt oder gedacht haben, etc.) werden im Text oft nicht erwähnt. Es scheint als ob der Autor nur die Dinge erwähnt, die für das Erzählen der Geschichte wichtig sind, sowie für den Punkt, den er machen möchte. Deswegen sind sowohl die Dinge, die er erwähnt, als auch die Art und Weise wie er sie erwähnt, sehr wichtig. Nichts ist einfach nur niedergeschrieben, weil es gut aussieht oder toll klingt. Alles ist von Bedeutung, auch jene Details, die nicht wichtig zu sein scheinen. Deswegen müssen wir sehr aufmerksam lesen und sehr genau darauf achten, welche Details der Autor uns mitteilt und wie er seinen Text aufgebaut hat. (Das ist auch der Hauptgrund warum es so wichtig ist, den Text entweder in den Originalsprachen zu lesen oder eine Übersetzung zu verwenden, die die Originalsprachen treu wiedergibt.)

Das folgende Beispiel aus dem Johannesevangelium soll das verdeutlichen.

In Johannes 18 wird Jesus gefangen genommen und vor Hannas gebracht. Petrus und ein anderer Jünger folgen Jesus bis in den Hof des Hohepriesters. Ab Vers 16 konzentriert sich die Geschichte auf Petrus:

Petrus aber stand an der Tür draußen. Da ging der andere Jünger, der dem Hohenpriester bekannt war, hinaus und sprach mit der Türhüterin und führte Petrus hinein. Da spricht die Magd, die Türhüterin, zu Petrus: Bist nicht auch du einer von den Jüngern dieses Menschen? Er sagt: Ich bin’s nicht. Es standen aber die Knechte und die Diener da, die ein Kohlenfeuer gemacht hatten, weil es kalt war, und wärmten sich; Petrus aber stand auch bei ihnen und wärmte sich. (vv 16-18)

In diesen drei Versen gibt es viele interessante Dinge, auf die man achten könnte, aber ich möchte mich an dieser Stelle nur auf ein interessantes Detail beschränken, das der Autor erwähnt, nämlich dass es im Hof ein Kohlenfeuer gab. Dieses Detail wird oft übersehen. Doch als aufmerksame Leser müssen wir uns die Frage stellen: Warum hat sich der Autor entschieden, diese Kleinigkeit zu erwähnen? Schließlich würde die Geschichte auch ohne dieses Kohlenfeuer funktionieren. Der Autor hätte uns auch nur darüber informieren können, dass die Knechte und Diener im Hof standen und dass Petrus bei ihnen war. Warum ist das Feuer wichtig? Kapitel 18 scheint auf diese Frage keine Antwort zu geben. Auch in Kapitel 19 und 20 erfahren wir nichts darüber. Erst wenn wir ins Kapitel 21 kommen beginnen wir zu verstehen, warum das Kohlenfeuer in Kapitel 18 erwähnt wurde.

In Johannes 21 gehen einige Jünger zurück zu ihrer früheren Tätigkeit als Fischer. Am Morgen erscheint Jesus am Ufer, sagt ihnen, dass sie ihr Netz auf der rechten Bootseite ins Wasser werfen sollen, woraufhin sie viele Fische fangen.

Vers 9 teilt uns mit, was passiert, als sie ans Ufer kommen.

Als sie nun ans Land ausstiegen, sehen sie ein Kohlenfeuer liegen und Fisch daraufliegen und Brot.

Der aufmerksame Leser von Johannes 21,9 wird sofort bemerken, dass der Autor wieder ein Kohlenfeuer erwähnt. Tatsächlich sind Johannes 18,18 und 21,9 die einzigen beiden Stellen im ganzen Johannesevangelium, wo ein Kohlenfeuer erwähnt wird. Das ist mit Sicherheit kein Zufall! Stattdessen hat der Autor das Kohlenfeuer sehr bewusst in diesen Versen erwähnt, um diese zwei Szenen miteinander zu verbinden. In Johannes 18 verrät Petrus Jesus drei Mal an einem Kohlenfeuer. In Johannes 21 fragt Jesus Petrus drei Mal, ob er ihn liebt – an einem Kohlenfeuer. Mit anderen Worten: Jesus nimmt Petrus quasi zurück in die Szene in Kapitel 18, zurück an den Ort wo Petrus ihn verraten hat und fragt ihn dort: wie stehst du wirklich zu mir? Und so gibt Jesus ihm die Möglichkeit, die Szene im Hof noch einmal zu durchleben und eine andere Entscheidung zu treffen.

So ist Gott: er bringt uns zurück an den Punkt, wo wir gefallen ist, und gibt uns die Möglichkeit, neu zu beginnen. Und er tut sogar noch etwas Besseres. Er selbst wird Mensch, geht an den Punkt zurück, wo wir gefallen sind, erlebt dieselben Versuchungen, die wir erleben, und bleibt siegreich. (Dies wird übrigens in Joh 18 sehr schön aufgezeigt – mehr dazu in einem späteren Post.) Er lebt das Leben, das auch wir leben, ohne jedoch zu sündigen – und stirbt dann den Tod, den wir verdient haben – wodurch wir das Leben zurückerhalten können, das wir einst hatten. Was für ein Gott!